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BCKategorie 21.09.2015 09:27:53 Uhr | städtisches Museum

Halberstadt im 20. Jahrhundert - Schönheit und Vergänglichkeit

[(c): Städtisches Museum Halberstadt]

Vor dem ersten Weltkrieg war Halberstadt eine Stadt von 46.481 Einwohnern (1914). Die Stadt war im nördlichen Harzvorland ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt und der führende Handelsumschlagplatz der Region. Eine Reihe Halberstädter Betriebe, wie Heines Würstchenfabrik, die für sich in Anspruch nahm, die größte Spezialfabrik dieser Art in der Welt zu sein, oder die Landmaschinenfirma Fr. Dehne, deren Produkte in viele Länder der Erde verkauft wurden, entwickelten sich gerade in dieser Zeit besonders stürmisch weiter.

Öffentliche Bauten wie das Neue Stadttheater (1905), das Landgericht (1911), sowie Erweiterungen wie die des Schlachthofes (1910) zeugten von der Wohlhabenheit dieser Stadt in der Zeit. Neben den vielen ehrwürdigen Barockbauten der alten Bischofsstadt, war in Halberstadt der Bestand an im niedersächsischen Stil errichteten, zum Teil prachtvollen Fachwerkbauten, besonders zahlreich. Nicht ohne Grund nannte man Halberstadt auch das "Rothenburg des Nordens".

In einem Stadtführer von 1910 heißt es: "Halberstadt gehört wohl zu den interessantesten Städten am nördlichen Rande der Mittelgebirge. Die Stadt hat bedeutende Sehenswürdigkeiten und besitzt eine große Bedeutung als Industrie - Handels- und Verkehrsstadt. Der einstige Bischofssitz bietet zahlreiche sehenswerte Kirchenbauten. Halberstadt bietet ein Bild einer mittelalterlichen Stadt, ein Bild von idealer Romantik, ein allerliebster Irrgarten aus mittelalterlicher Zeit. Rohstoffe der Umgebung bestimmten das Bild der Industrie und des Handels.“

Unter den Harzstädten spielte Halberstadt hinsichtlich der Qualität und Quantität der Holzbauten eine hervorragende Rolle. Noch 1943 existierten 1605 bewohnte Fachwerkhäuser.

Am 8. April 1945 wurde die Innenstadt durch einen verheerenden Luftangriff zu über 80% zerstört, ein Kleinod der Kunst ging verloren.

Während die Wirtschaft unter schwierigsten Bedingungen, nicht zuletzt durch private Initiative und die Improvisationskunst der Menschen, mühselig wieder in Gang gesetzt wurde, hat die SED nach der 1946 (Vereinigung von KPD und SPD) unter erheblichen Druck erzwungenen Vereinigung und der durch Stalin 1949 ermöglichten Staatsgründung der DDR politisch bald alle Fäden in der Hand.

Das Auseinanderklaffen von propagandistischer Schönfärberei und realen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und zunehmender politischer Unterdrückung führten zum Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953. Karl Dilßner, ein Halberstädter Sozialdemokrat, der bereits einige Jahre zuvor in einem Schauprozess für Verbrechen verurteilt wurde, die er nicht begangen hatte, berichtet: "Immer mehr Streikende kommen zum Fischmarkt, der sie nicht alle fassen kann. Papptafeln werden hochgehalten. "Freie Wahlen", Klatschen ringsum. Ein anderer sagt: "Der Spitzbart muss weg" (gemeint war der Generalsekretär der SED Walter Ulbricht). Die Spannung ist geladen, aber optimistisch. Gegen 15 Uhr poltert es von Osten her durch den Breiten Weg. Als das Geräusch näherkommt, erkenne ich sowjetische Fahrzeuge. Es sind Feldhaubitzen und Mannschaftswagen. Mir wurde bange, denn immer mehr Menschen drängten zum Fischmarkt. Streikende mit ihren Familien hatten sich hier spontan eingefunden. Zögernd macht die Menge Platz. Da ein Schuss, offenbar ein Warnschuss, der die Auflösung der Menschenansammlung bewirken sollte, denn nun ging jeder in Deckung und Sicherheit. Der Fischmarkt leerte sich nach allen Seiten. Auch ich zog mit meiner Familie heimwärts. Mit den Rotarmisten und den GPU-, und Stasileuten wollte keiner Bekanntschaft machen.“

1953 wird auch, wie überall in der damaligen DDR das "Nationale Aufbauwerk" für Halberstadt proklamiert. Freiwillige Aufbauhelfer sollen dazu beitragen die acht Jahre nach Kriegsende noch immer im vorhandenen teilweise beräumten brachen Trümmerflächen der Innenstadt, schneller wieder aufzubauen. Als erste größere Objekte entstehen 1954/55 die Gaststätte "Haus des Friedens" und das Wohngebiet Thomas-Münzer-Straße. Anfangs beteiligten sich viele Halberstädter mit großem Elan an den Arbeiten. Durch von der SED erzwungenen "Selbstverpflichtungen" zur Teilnahme am NAW, entartet dieses jedoch schon nach wenigen Jahren zur reinen Pflichtübung und hat nichts mehr mit einem "freiwilligen Aufbaueinsatz" zu tun.

1972 beginnt die DDR Regierung auch die letzten Privatbetriebe, denen schon vorher eine Staatliche Beteiligung aufgezwungen worden war, in "Volkseigentum" zu überführen. Auch in Halberstadt waren hiervon eine Reihe von Betrieben betroffen. Darunter die Firma Dehne KG, die in VEB Landmaschinenbau und Wiesmann & Co., die in VEB Polyplast umbenannt worden.

Im Sommer 1989 begann sich die Situation für die DDR-Führung mehr und mehr zuzuspitzen.

Auch in Halberstadt trafen sich seit dem 4.Oktober 1989 jeden Mittwoch in der Martinikirche viele Bürger zum "Gebet für unser Land". In den sich an die Gebete anschließenden Demonstrationen durch die Stadt wurde diesen Forderungen durch selbstgefertigte Transparente und spontane Sprechchöre Nachdruck verliehen. Durch die Öffnung der innerdeutschen Grenze wird die Stadt von einer kleinen Grenzstadt wieder in den Mittelpunkt Deutschlands gerückt.

Ein herausragendes Ergebnis der Stadtentwicklung entstand mit dem Wiederaufbau des Stadtzentrums und dessen Eröffnung am 3. September 1998. Große Flächen des 1945 zerstörten Zentrums wurden nicht wieder bebaut und dienten über Jahrzehnte als Parkplätze. Bis 1996 gab es keinen abgeschlossenen Stadtkern in Halberstadt. In nur zwei Jahren erfolgte nun die Neubebauung des Zentrums. Dabei wurde das historische Rathaus an alter Stelle neu errichtet und die Westfassade dem historischen Vorbild nachempfunden.

Durch den verheerenden Bombenangriff vom 08. April 1945 wurden 676 historische Fachwerkhäuser völlig vernichtet. In den achtziger Jahren des 20. Jh. erfolgte ein großflächiger Abriss von alter Bausubstanz im vom Bombenangriff kaum in Mitleidenschaft gezogenem Gebiet der sogenannten „Altstadt“. Der Vorkriegsbestand von 1.605 Fachwerkgrundstücken war hierdurch nach der politischen Wende auf einen Rest von 447 geschrumpft. Die verbliebenen Gebäude befanden sich zumeist in einem baufälligen oder unbewohnbaren Zustand.

Bereits im Frühjahr 1990 rief die Bundesregierung das Modellstadtprogramm ins Leben. Im April 1990 entschieden sich die Regierungen der DDR und BRD, Halberstadt als Modell zur Stadterneuerung im künftigen Bundesland Sachsen-Anhalt zu bestimmen. Weitere Städte waren Meißen, Weimar, Brandenburg sowie Stralsund.

1998 erhielt die Stadt ihr Herz zurück. Auf historischen Baufluchten entstand ein modernes Zentrum. Im Mittelpunkt, der Stolz der Halberstädter, das neue Rathaus, das mit seiner historisch nachempfundenen Westfassade dem Halberstädter Roland seinen alten Platz zurückgibt.