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Vitrine im Foyer des Städtischen Museums wird neu bestückt
Apothekengeschichte in Halberstadt und geheimes Kräuerwissen
Die 1955 unter Mitwirkung des Halberstädter Apothekers Wolfgang Jonatha eröffnete Historische Apotheke in der Sammlung des Städtischen Museums Halberstadt zählt zu den wenigen komplexen Ausstellungen mit Pharmakopöen, Gerätschaften, Laboratorien und Apothekeneinrichtungen der ostdeutschen Bundesländer.
Die Halberstädter Ausstellung präsentiert Teile der Apothekeneinrichtungen der Apotheken Hessen (um 1805), Osterwieck (um 1800) und eine Nachbildung des Labors der Ratsapotheke Halberstadt (um 1750) unter Verwendung von Originalteilen. Ergänzt werden diese Exponate durch Erläuterungen zur Apothekengeschichte sowie durch Kräuterbücher, Keramik- und Holzgefäße und Arbeitsgeräte zur Herstellung verschiedener Arzneien. Besonderen Wert gewinnt die Halberstädter Sammlung darüber hinaus durch das dort gezeigte umfassende Schriftgut zur Apothekengeschichte, das Einblicke in die Sozial-, Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte der vergangenen Jahrhunderte bietet.
Als Familiennamen findet sich der Apotheker, Abbateker schon 1349 nachweisbar in Halberstadt. Eine Apotheke wird zuerst 1408 urkundlich erwähnt. Wahrscheinlich bestanden bereits früher Hausapotheken in den verschiedenen Klöstern der Stadt.
Die Anfänge der Ratsapotheke lassen sich auch heute noch verfolgen. Albrecht der V. von Brandenburg, auch bedeutender Förderer von Wissenschaft und Kunst, ist der Stifter. Im Gegensatz zu anderen von ihm erteilten Privilegien, so zu dem drei Jahre zuvor für die Hirschapotheke in Halle ausgefertigten, verleiht die am 6. Juni 1538 auf der Moritzburg in Halle unterzeichnete Urkunde nicht einem einzelnen Apotheker, sondern dem Domkapitel und dem Stadtrat das Recht zum Betriebe einer neuen Apotheke. Die Apotheke wurde von Stadt und Domkapitel gemeinsam verpachtet. Diese bestehende "Doppelherrschaft" brachte natürlich große Probleme und Diskrepanzen. Erst mit dem Verkauf ihrer Anteile 1695 durch das Domkapitel an die Stadt gab es nur noch einen alleinigen Besitzer. Seit ihrer Gründung befand sie sich in dem "neben der Schmiedegilde Hauße" befindlichen Grundstück am Holzmarkt.
Besondere Bedeutung hat das Apothekenlabor der Ratsapotheke. Hier forschten technologisch begabte Apotheker und konnten nennenswerte Beiträge zur Gewinnung von Rübenzucker [Johann Georg Geßner], herzwirksamen Auszügen aus dem Roten Fingerhut [Johannes Bürger] und bei der Gewinnung von Maltoseprodukten/Biomalz [Eduard Patermann] leisten.
Johann Georg Geßner [1766-1838], vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1827 Inhaber der Rats-Apotheke, war bereits vor 1799, also zeitgleich mit dem überragenden Rübenzuckerforscher Carl Francois Achard [1753-1821] bei der Gewinnung von Rübenzucker erfolgreich. Während viele Zuckerhersteller nach 1800 auf den Forschungen Achards aufbauten, vollzog Geßner die wissenschaftlichen Schritte zur Zuckerextraktion aus der Runkelrübe selbständig. Seine Bemühungen zur industriellen Zuckergewinnung musste er 1812 aus Kostengründen einstellen. Zwei Jahre später, nach dem Wegfall der Kontinentalsperre, überflutete billiger Rohrzucker Europa und führte zum totalen Niedergang der Rübenzuckerfabrikation. Erst nach 1835, basierend auf Rüben mit höherem Zuckergehalt, begann in Europa eine neue Gründungswelle von Zuckerfabriken. Die Zuckerrübe wurde zur Charakterfrucht der Magdeburger Börde und der Magdeburger Raum bis 1930 zum Zentrum der Rübenzuckerherstellung.
Johannes Bürger [1860-1915], von 1900 bis 1902 Inhaber der Apotheke, war nach Halberstadt gekommen, um dem "Roten Fingerhut" im Harz näher zu sein und um ihn zu untersuchen. Sein Forschungsinteresse galt der Gewinnung von frischen Pflanzenauszügen, an denen er bereits vor seiner Halberstädter Zeit gearbeitete hatte und die noch heute unter dem Namen Ysate bekannt sind. Nach zwei Jahren ging er nach Wernigerode und baute dort ab 1903 die "Ysatfabrik Johannes Bürger" auf.
Sein Nachfolger Eduard Patermann [1866-1928], der die Apotheke im Jahre 1903 übernahm, arbeitete im Labor an einem Nahrungsergänzungsmittel auf Malzbasis. Patermann verließ Halberstadt im Jahre 1906, um in Berlin eine Großstadtapotheke zu übernehmen. Wie in Halberstadt stellte er auch dort im Apothekenlabor seine Malznahrung her, die bald so bekannt war, dass die industrielle Herstellung unter dem Namen Biomalz aufgenommen werden konnte.
Die Historische Apotheke im Städtischen Museum Halberstadt bietet somit nicht nur Einblick in Gerätschaften und das Alltagsleben von Apotheken, sondern sie erinnert auch an die Männer, die in der Halberstädter Ratsapotheke gewirkt und im Labor besondere Leistungen hervorgebracht haben. Eine Nachbildung des Labors der Ratsapotheke ist im Ausstellungsraum hinter der Apotheke zu sehen.
Eine zweite bedeutende Apotheke Halberstadts war die Kronenapotheke.
Nicolaus Reese aus Osterwieck wurde 1723 Pächter der Ratsapotheke, jedoch wurden seine Kenntnisse und Fähigkeiten in Frage gestellt, so das er 1739 nach längeren Machtkämpfen die Ratsapotheke abgeben musst. Nachdem sein Vater sich am hiesigen Birnenmarkt, heute Fischmarkt, ein Haus gekauft hatte, bemühte sich Reese um die Eröffnung einer eigenen Apotheke. Mit dem Angebot, einen festen Kanon [Steuer] von 1500 Taler für die Rekrutenkasse zu "spenden" erhielt Reese am 6. Februar 1742 das Privileg für die Kronen-Apotheke von Friedrich dem Großen.
Ein bedeutender Halberstädter wurde nach 1818 als Inhaber der Apotheker genannt - Friedrich Gottfried Hermann Lucanus [1793-1872]. Er stammte aus einer angesehen Halberstädter Familie, die eigene Beiträge zur Geschichte Halberstadts leistete [Lucanische Bibliothek 1556-1732]. Lucanus war als Apotheker, Kommunalpolitiker, Fachpolitiker, Gutachter und Kunstkritiker tätig. Er promovierte mit einer Arbeit über einen Dammerharz-Gemäldefirnis zur Restaurierung von Ölgemälden. 1849 wird er als Mitautor des Entwurfs einer preußischen Apothekerordnung genannt. Als Kunstfreund und Kunstmäzen wurde er weit über Halberstadt hinaus bekannt. 1828 stiftete er mit Werner Friedrich Julius Stephan von Spiegel den Halberstädter Kunstverein. Lucanus hatte ausgezeichnete Beziehungen zum preußischen Königshof. Er fand bei seinen Unternehmungen ermunternde Zustimmung des preußischen Kultusministers Freiherr vom Stein zu Altenstein [1770-1840], der ihm Zugang zum König verschaffte. Man gewann den Prinzen Wilhelm von Preußen, den späteren Kaiser Wilhelm I. zum Schutzherrn des Kunstvereins. Der Kunstverein konnte u. a. Gemäldeausstellungen organisieren, die durch Leihgaben des Königshauses hohen künstlerischen Wert besaßen.
Am 8. April 1945 wurde Halberstadt durch einen Bombenangriff innerhalb weniger Stunden zerstört. Von den sechs Apotheken der Stadt wurden fünf so zerstört, darunter die Ratsapotheke und die Kronenapotheke, das an einen Wiederaufbau nicht zu denken war.