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BCKategorie 21.09.2015 09:27:53 Uhr

Warum eigentlich L ere?

'Entdecke die L ere'

Ohne leere Räume könnten wir in den Städten nicht leben. Wir brauchen Straßen, um uns zu bewegen, Plätze, um darauf - aus den verschiedensten Gründen - zusammen zu kommen, und wir brauchen Grünräume, um uns von den Zwängen des Stadtlebens zu erholen. Auch brachliegende Freiflächen und Leerstand gehören in den Lebensrhythmus der Stadt, denn sie bergen die Chance, etwas Neues und Zukunftsträchtiges hervorzubringen.

Als "Leere" erscheinen sie uns erst, wenn ihr Verhältnis proportional zur Stadt kritisch wird. Wenn sie fortlaufend daran erinnern, was verloren ist. Und vor allem dann, wenn die Kräfte zu knapp werden, mit dem ganzen Freiraum etwas anzufangen. Dann beginnt sich Leere als Verödung breit zu machen. Den gegenwärtigen Hintergrund für diesen Prozess bildet der Strukturwandel: fallende Bevölkerungszahlen, wenig stabiles oder rückläufiges Wirtschaftswachstum und leere öffentliche Kassen. Die Leere wird zum Symptom der schrumpfenden Stadt.

Obwohl wir Leere in der Stadt zuerst als Eigenschaft des Raumes wahrnehmen, ist sie aber nur scheinbar eine objektive Situation. Das Erleben von Leere hängt vom Betrachter ab, vom Einzelnen wie von der Gesellschaft: mal ist sie unheimlich oder bedrohlich, mal kommt sie uns als Freiraum gerade recht. Es sind die Erinnerungen, Erwartungen und Hoffnungen, die bestimmen, ob Leere positiv oder negativ ist. Verstehen und bewerten lässt sie sich erst, wenn auch gesagt wird, was hier abwesend ist, was nicht mehr oder noch nicht ist. Deshalb fordert uns die Leere in der Stadt heraus. Sie stellt uns vor die Frage, was ihr Gegenteil wäre, womit sie erfüllt sein könnte.

 

DER "TRAININGSPFAD DES SEHENS"

… nimmt diese Frage für beispielhafte Orte in Halberstadt auf und richtet sie an die gesamte städtische Gemeinschaft. Eigens für diese Orte entwickelte, temporäre Aktionen heben sie aus dem Fluss unserer alltäglichen Wahrnehmung und Verhaltensweisen heraus. So soll die je spezifische Leere erkundet und ein Bewusstsein für ihre Schwächen wie für ihre Potentiale geschaffen werden. Damit wird der Trainingspfad zur Plattform für den Diskurs über urbane Qualitäten. 
Die Projekte des "Trainingspfad des Sehens" entstanden von 2006 bis 2008 in Zusammenarbeit mit Martin Peschken, Detlef Weitz (cheweitz & roseapple), Sonja Beeck (IBA - Büro IBA Stadtumbau 2010) und der Stadt Halberstadt.

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URBANE QUALITÄTEN

Es ist klar, dass damit in einer mittelgroßen Stadt wie Halberstadt nicht jene "Urbanität" gemeint sein kann, wie sie das Image der dichten Vielfalt und Geschäftigkeit von Großstädten prägt, - erst recht nicht in Zeiten der Schrumpfung. Grundlegend ist für jede Stadt, dass sie das Werk von Aufmerksamkeit ist, in ihrer Gestalt ebenso wie in den einfachsten Abläufen und Verrichtungen des Lebens, das in ihr stattfindet. In diesem Sinn ist sie unser gemeinsamer Erfahrungsraum, und als solcher das unmittelbarste Erleben von Kultur. Die Stadt muss, damit man sie als ‚urban’ empfindet, nicht überall schön im klassischen Sinn oder geschäftig sein. Nur verwahrloste Orte, denen wenig oder keine Aufmerksamkeit zuteil wird und die keine Aufmerksamkeit fordern, lassen urbane Qualität vermissen. Sich diesen Orten zuzuwenden, ihre Eigenschaften und Möglichkeiten auszuloten, ist der erste Schritt zu einer "Kultivierung der Leere", den die städtische Gemeinschaft - die Bevölkerung ebenso wie die so genannten Experten der Planung - tun muss.

Die Aktionen des Trainingspfades wollten die Begegnung der Bevölkerung mit dem Thema auf spielerische Weise vermitteln, sind dabei aber das Gegenteil von "Events", nämlich immer auch ein bisschen spröde. Statt zu überwältigen, lenken sie das Bewusstsein von den Orten nicht ab, sondern zu ihnen hin. Der Effekt dieser zeitlich begrenzten Aktionen ist die symbolische Besetzung der Leerräume durch die Stadtgemeinschaft. Gezielt wird damit auf eine ‚mentale Nachhaltigkeit’, eine Sensibilisierung für die Beschaffenheit des öffentlichen Raumes.

Den Planern hilft die Verschiebung des Blickwinkels (von: "Brache" und "Lücke" als ökonomisch und soziokulturell ungenutztem Raum zur "Leere" mit ihrer Möglichkeit der Neubesetzung und Umwidmung von Funktionen), um die vorhandenen Leitbilder zu überprüfen, und stärkt die Bereitschaft, unorthodoxe Wege einzuschlagen. Wo die Mittel knapp sind, können keine Konzepte von Urbanität implantiert werden, - sie müssen aus den Orten selber wachsen. Viele Versuche, die deutschen Städte am ‚italienischen’ Straßenleben zu orientieren, sind als solche Implantate in der Vergangenheit zudem auch gescheitert. Die offensive Auseinandersetzung mit der Leere erleichtert es, die Aufgaben der Planung richtig zu formulieren und die dringlichen von den weniger wichtigen Aufgaben zu unterscheiden.

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